. Maren Schoening . 5. Mai 2025 .


Léo Budai-Goldberger und die deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen

Zwischen Deutschland und Mittel-, Osteuropa wurde wohl schon immer Handel betrieben. Einen Einschnitt markierte die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die Kaiserreiche Österreich-Ungarn und Deutschlands waren untergegangen und neue Beziehungen mussten geknüpft werden. 1920 erarbeitete das Reichswirtschaftsministerium in Berlin langfristige Richtlinien für den deutschen Außenhandel mit dem Ziel, die Märkte in Ost- und Südosteuropa zu erschließen. Folgerichtig unterschrieben Deutschland und Ungarn bereits am 1. Juni 1920 das „Provisorische Abkommen zwischen Deutschland und der königlich ungarischen Regierung zur Regelung ihrer beiderseitigen wirtschaftlichen Beziehungen“. Am 6. August 1920 wurde die Deutsch-Ungarische Handelskammer in Budapest gegründet. Die deutschen Unternehmen Siemens, Commerzbank, Berliner Bank, BASF, Dresdner Bank, Lufthansa, Knorr-Bremse, KPMG, Hoechst und Carl Zeiss gehörten zu den Gründungsmitgliedern. Zwei Jahre später zählte die Kammer bereits über 700 Mitglieder und 1926 wurde mit Léo Budai-Goldberger erstmals ein Ungar Präsident der Kammer.


Budai-Goldberger war einer der größten Textilunternehmer des Landes. Er hatte in Budapest und Leipzig Rechtswissenschaft studiert und trat nach dem Tod seines älteren Bruders in die Geschäftsführung des familiären Unternehmens ein. 1934 wurde er Mitglied im ungarischen Oberhaus. Seine Familie gehörte zu den 346 jüdischen Familien, die in der Kaiserzeit geadelt wurden.


Ungarische Unternehmer oder Politiker waren in den 1920er Jahren gern gesehene Gäste in den Berliner Gesprächskreisen und Salons. Einen der angesagtesten Salons führte die Schwester von Walther Rathenau, Edith Andreae. Nach der Ermordung ihres Bruders schrieb sie, dass für ihren Bruder die Begegnung mit Graf Apponyi eine unvergessliche Erinnerung gewesen sei und dieser „kultivierte, sprachkundige Grandseigneur in Berlin von Fest zu Fest geschleift wurde“. Gäste der politischen „Mittwochs-Gesellschaft“ waren, „wenn sie zufällig in Berlin zu Besuch waren, führende verbündete Politiker wie die Grafen Apponyi und Andrássy“, beschrieb Harry Graf Kessler die Verbindungen zwischen Deutschland und Ungarn.


Zum Kreis der erfolgreichen Unternehmer zählte auch Lipót Aschner, der 1921 Geschäftsführer des ungarischen Unternehmens Tungsram wurde. Ende der 1930er Jahre war Tungsram zum internationalen Unternehmen mit fünfzehn Produktionsunternehmen, dreißig unabhängigen Unternehmen und fünfzig Handelsvertretungen aufgestiegen. Hauptstandort blieb das Werk im Budapester Stadtteil Újpest. Bei der Gründung eines der wirkungsvollsten und mächtigsten Kartelle der Wirtschaftsgeschichte spielten Aschner und Tungsram eine wichtige Rolle. Anfang der 1920er Jahre wurde auf Initiative von Osram, dem Tochterunternehmen von AEG und Siemens, eine Kooperation mit den wichtigsten internationalen Playern der Glühlampenproduktion gebildet. Mitglieder in dem Kartell waren Osram, Tungsram, das niederländische Unternehmen Philips und weitere Unternehmen aus Spanien, Schweden und der Schweiz.


Ziel des Phoebus-Kartells war die Aufteilung des Marktes durch Patent- und Erfahrungsaustausch, die Typisierung und Standardisierung der Lampen. Zu diesem Zweck wurden jedem Unternehmen Verkaufsquoten auf den Märkten zugeteilt, die das Kartell kontrollierte. Etwaige Abweichungen wurden mit Strafzahlungen an das Kartell belegt.


Die Chefs der beteiligten Unternehmen trafen sich in der Regel jeden Sommer und so kamen sie beispielsweise 1932 auf Einladung von Aschner in Budapest zusammen. Bei den Jahrestreffen wurden die Ausrichtung des Kartells und das Vorgehen auf den internationalen Märkten besprochen und festgelegt. Der erste Vorsitzende des Verwaltungsrats des Phoebus-Kartells und zugleich Vorsitzender des Direktoriums von Osram, William Meinhardt, konnte am Treffen 1932 in Budapest noch teilnehmen. Schon ein Jahr später musste er vor den Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen und nach England emigrieren.


Im März 1944 stand Budai-Goldberger auf der Verhaftungsliste der Gestapo und wurde nach dem deutschen Einmarsch in das KZ Mauthausen deportiert. Vor 80 Jahren, am 5. Mai 1945, verstarb Goldberger im KZ Mauthausen.


Bei dem Text handelt es sich um einen Auszug aus meinem Buch:

Der schwärzeste Sommer – Als der Holocaust nach Ungarn kam.

ISBN 978-3-00-080344-4

Paperback, 203 Seiten, Sprache: Deutsch

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